Entwicklung, Einsatz und Veröffentlichung von OER in den Digital Fellowships.

Ein besonderer Schwerpunkt der Programmlinie für die Digital Fellows ist die Verankerung von OER in die Lehrpraxis. OER als freie Bildungsressourcen und –materialien (OER) sind Videos, Aufgabenpools, Kurse oder ähnliche Lernangebote, die unter einer freien Lizenz veröffentlicht werden und somit von jedermann kostenfrei nachgenutzt und ggf. auch weiter verarbeitet werden dürfen. Die Nutzung in der Hochschullehre kann auf unterschiedlichen Wegen erfolgen: Lehrende, die freie Bildungsressourcen für ihre eigene Lehrveranstaltung nutzen, Fellows die eigene Materialien als OER veröffentlichen und Angebote, in denen Studierende Materialien erstellen, die als OER veröffentlicht werden. Alle drei Varianten werden im Rahmen der Digital Fellowships umgesetzt. Exemplarisch stellen drei Lehrende im aktuellen Interview ihre Ansätze vor. Frau Prof. Dr. Bergner von der TU Dresden und Phillip Wabnitz von der TU Chemnitz nutzen OER im Rahmen ihrer Flipped-Classroom-Szenarien. Frau Prof. Dr. Würffel von der Universität Leipzig richtet einen OER-Makerspace ein.

OER in der Lehrpraxis verankern – drei unterschiedliche Wege zum Ziel

Die Möglichkeiten zur Nutzung von OER in der Hochschullehre sind vielfältig. An den Beispielen unserer Fellows können wir einige Ideen und Ziele zur Nutzung von OER vorstellen. Angefangen mit der Nutzung von vorhandenen OER-Materialien, wie bspw. im Projekt von Frau Prof. Dr. Bergner und Herrn Dr. Leonhardt an der TU Dresden.

Frau Bergner, Sie setzen in Ihrem Fellowship-Vorhaben ein Flipped-Classroom-Konzept für die Lehramtsausbildung im Bereich Informatik um. Wie können Sie dabei OER-Materialien nutzen?

Prof. Dr. Bergner und Dr. Leonhardt: Gerade in der Lehramtsausbildung im Fach Informatik sind wir auf frei verfügbare aktuelle Materialien angewiesen, da sich die Inhalte in der Informatik zwar im Kern nicht ändern, aber die Technologien sich ständig weiter entwickeln und Materialien in kurzen Zyklen angepasst werden müssen. Darüber hinaus wollen wir erreichen, dass die zukünftigen Lehrkräfte ebenfalls in der Lage sind OERs zu suchen, zu nutzen, zu verändern und (rechtlich sicher) weiterzuverbreiten. Kern unseres Ansatzes ist es, lehramtsspezifische Lehrveranstaltungen durch kurze Video-Lektionen anzureichern und neue didaktische Konzepte für den Präsenzteil zu entwickeln.

Wo finden Sie die Materialien und wie schätzen Sie den Aufwand für das Finden, Anpassen und Einbinden der Materialien ein?

Prof. Dr. Bergner und Dr. Leonhardt: Das ist der sogenannte Bottleneck beim Vorbereiten von Materialien aus Veranstaltungen und Unterricht im Allgemeinen. Wir arbeiten schon seit mehreren Jahren an OER-Materialien für den Informatikunterricht, so dass wir in unserer Community viele Materialien tauschen, wiederverwenden und anpassen können. Dies bezieht sich meist auf Materialien wie Arbeitsblätter, Animationen und Lernspiele. Die Hürde ist dabei vor allem auch in welchen Formaten die Materialien vorliegen und wie gut diese dokumentiert sind.

Zusätzlich werden Sie noch eigene Materialien erstellen und diese veröffentlichen. Ebenso wie Phillip Wabnitz von der TU Chemnitz, der ebenfalls ein Flipped Classroom-Konzept im Bereich Maschinenbau umsetzt.

Frau Bergner, Herr Wabnitz, Warum wollen Sie Ihre selbst erstellten Materialien für jedermann nutzbar als OER veröffentlichen?

Prof. Dr. Bergner und Dr. Leonhardt: Passende kurze Videos für Vorlesungsinhalte im Bereich der Informatik-Lehramtsausbildung sind leider nur sehr wenig vorhanden, so dass wir hoffen, mit unserem Projekt diese Lücke ein wenig schließen zu können. Die Videolektionen sowie alle Lernmaterialien werden wir als Open Educational Resources unter einer entsprechenden CC-Lizenz veröffentlichen und demnach allen Studierenden auch zur Wiederverwendung in eigenem Unterricht zur Verfügung stellen können.

Bildung ist der wichtigste Beitrag den wir zum Zusammenhalt unsere Gesellschaft leisten können. Aus diesem Grund sehen wir Bildungsmaterialien als Allgemeingut und sind darüber hinaus auch an internationaler Zusammenarbeit interessiert und stoßen hier schon erste Projekte an.

Herr Wabnitz: Jeder kennt sicher das Problem: Man möchte eine Präsentation mit einem Video oder einen Beitrag mit einem Bild aufwerten und steht vor der Frage „Woher bekomme ich passendes Material und wie bzw. in welchem Umfang darf ich es nutzen?“. Für Bilder und Videos, ja sogar auch für 3D-Modelle gibt es bereits Lösungen (bspw. CC-Lizenzen bei Videos, Public-Domain-Bilddatenbanken). Doch wie sieht es da bei Lehrmaterialien aus? Hier werden nach wie vor viele Stunden in hochqualitative Aufgabenstellungen und tolle Darstellungen von Lösungswegen investiert, welche anschließend nur eine kleine Gruppe von Studierenden zu Gesicht bekommen und danach in einer Schublade verschwinden.

Ich denke, gerade offene Lehrmaterialien bieten die Chance, einen echten Wandel im Lehrbetrieb zu ermöglichen: die Überwindung urheberrechtlicher Hürden, die Steigerung der Wiederverwendbarkeit und möglicherweise auch irgendwann die kooperative Erstellung und Weiterentwicklung von Lehrkonzepten – ähnlich wie es heutzutage bei Open Source Software der Fall ist.

Wo werden Ihre OER Materialien zu finden sein und für wen könnte es interessant sein, diese zu nutzen?

Prof. Dr. Bergner und Dr. Leonhardt: Wir streben immer einen möglichst einfachen Zugang zu OER-Materialien an. Die für uns beste Methode ist die systematische Veröffentlichung auf unserer Webpräsenz und die Bekanntmachung über Social Media in unserer Community. Darüber hinaus veröffentlichen wir unsere Materialien auf spezifischen OER-Plattformen (wie serlo) und klassischen Kanälen (wie YouTube). Unsere Materialien sind für alle in der Informatiklehre Tätigen interessant, unabhängig ob es sich um Schule oder Hochschule handelt.

Herr Wabnitz: Natürlich gilt auch für OER: Was nicht zu finden ist, kann nicht genutzt werden. Die Erfahrung aus der Vergangenheit zeigt, dass vor allem die Bereitstellung auf einer einzigen Plattform die Gefahr birgt, dass die Materialien früher oder später nicht mehr verfügbar sind. Auch ist die Form der OER ständig zu hinterfragen, da Technologie im Wandel ist und somit insbesondere digitale Materialien von jetzt auf gleich nutzlos werden können, wenn die benötigte Technik überholt ist. Nur ein Beispiel: Versuchen Sie heute einmal interaktive Lehrmaterialien in Form von Java-Applets und im Flash-Format abzuspielen.

Meine Daten und Lehrmaterialien werden zunächst alle innerhalb des von mir betreuten OPAL-Kurses zu finden sein. Ich versuche parallel dazu Archive auf anderen Plattformen aufzubauen (bspw. GitLab/GitHub für Softwareskripte, CC-Datenbanken für Bilder oder die Webseite der Professur für bestimmte Downloads). Bei den Formaten wird es so sein, dass vor allem die Quelldaten und möglichst viele davon abgeleitete Exportformate zur Verfügung gestellt werden, sodass diese in ein anderes Format umgewandelt werden können, falls dies nötig ist.

Für meine Materialien bietet es sich zunächst einmal an, die erstellten Lehrmaterialien und Teile daraus direkt für Veranstaltungen zur Robotik, Getriebetechnik und anverwandter Fachbereiche zu verwenden. Aber auch andere Gebiete aus dem MINT-Umfeld können davon profitieren (Stichwort: Anwendungsbeispiele). Zukünftig stelle ich mir eine Verzahnung von OER vor, bei der bspw. Selbsttests aus der Mathematik als Vorbereitung genutzt, getriebetechnische Analysen als Schritt-für-Schritt-Anleitung online bereitgestellt und mit interaktiven Simulationen aus Robotik und anderen Fächern angereichert werden.

Nicht nur Lehrende erstellen Materialien, die auch für andere Nutzende interessant sein können. Auch die Materialien, die Studierende erstellen, können (das Einverständnis der Studierenden vorausgesetzt) als OER veröffentlicht werden. So wie im OER-Makerspace im Fellowship-Vorhaben von Frau Prof. Dr. Würffel von der Universität Leipzig.

Frau Würffel, was genau wird im OER-Makerspace passieren?

Prof. Dr. Würffel: Mit unserem OER-MakerSpace stellen wir sowohl Lehrenden als auch Studierenden am Herder-Institut einen Kreativraum zur Verfügung, in dem unter tutorieller Betreuung Lehr- und Lernmaterialien erstellt werden können. Dabei regen wir Lehrende und Studierende an, die Lehr- und Lernmedien, die sie erstellen, als OER-Materialien zu produzieren. Für die Studierenden ist die Nutzung des Raums häufig an Veranstaltungen angedockt, um so die Nutzung des MakerSpace (auch) als notwendigen Teil des Studiums zu verankern. Um ein konkretes Beispiel zu nennen: Im Laboruni-Projekt „Virtuel Lab“ führen Dr. Almut Ketzer-Nöltge und Christine Magosch ein Modul zur Nutzung von 360 Grad-Videos für das DaF/DaZ Lehren und Lernen durch. Die Studierenden erstellen im Rahmen dieses Moduls im MakerSpace Materialien und Unterrichtsentwürfe zur Nutzung von 360 Grad-Videos im Fremdsprachenunterricht, wobei sie die Technik natürlich im MakerSpace auch selbst unter Anleitung ausprobieren können.

Wie stellen Sie die Qualität der von den Studierenden erstellten Materialien sicher?

Prof. Dr. Würffel: Auch diese Frage kann ich gut am vorherigen Beispiel exemplifizieren: Die erstellten Materialien werden von den Studierenden im Rahmen der Veranstaltung in Integrationskursen getestet und auf der Grundlage dieser Erprobung überarbeitet. Erst danach werden sie als OER-Materialien veröffentlicht; das wird wahrscheinlich auf der EDUdigitaLE-Plattform der Universität Leipzig erfolgen. Letztere ist ein sehr schönes Angebot der Universität Leipzig, das wir unbedingt stärker nutzen wollen; mit unserem neuen MakerSpace werden sich hierfür sicherlich auch über das Labor-Uni Projekt hinaus vielfältige Gelegenheiten bieten.